Ich gebe es zu: lange Zeit habe ich genau die gleiche digitale Fototechnik verabscheut, die viele andere Fotoenthusiasten mit dem Aufkommen der ersten Spiegelreflexgeräte so freudig begrüßten und umarmten. Dennoch nutzte ich diesen einschneidenden Wechsel in der Fototechnik. Nur dadurch konnte ich mir endlich die Mittelformat-Legenden unter den Fotoapparaten leisten, die ich immer bestaunt hatte, aber nie bezahlen konnte. Und so ignorierte ich einige Jahre die digitalen Neuerrungenschaften, während mich mein schwedischer Kultwürfel auf den Fotoreisen durch Indien begleitete und das elektronisch gesteuerte (deutlich unzuverlässigere) Konkurrenzprodukt aus Braunschweig durch Sri Lanka.
Diese Verweigerung geschah nicht aus Nostalgie, sondern war sehr pragmatisch motiviert: zunächst hat mich die Kurzlebigkeit sämtlicher digitaler Systemkomponenten entsetzt. Ein Vergleich: eine der teuersten Kameras für filmbasierte Fotografie, die Hasselblad 500C, wurde 1957 auf den Markt gebracht. Bis auf wenige Abwandlungen - ab 1969 konnte der Nutzer selbst die Suchermattscheibe auswechseln und ab 1989 gab es Varianten mit TTL-Blitzsteuerung- wurde diese Kamera so gut wie unverändert bis zum Produktionsstopp 2013 hergestellt. Wer sich dieses Fotogerät im ersten Produktionsjahr für ein Vermögen und mit entsprechenden Opfern leistete, konnte die Kamera ein ganzes Fotografenleben jahrzehntelang benutzen, ohne dass sie technisch betrachtet veraltete. Denn alle Objektivneuentwicklungen, neuartige Filmmagazine und selbst elektronische Errungenschaften wie TTL-Messsucher mit umschaltbarer Messcharakteristik blieben ohne Funktionseinschränkung voll abwärtskompatibel. Gleichzeitig wuchsen Auflösungsvermögen und Farbwiedergabe, weil diese Qualitätseigenschaften mit der beständigen Weiterentwicklung des Filmmaterials rasant verbessert wurden. Wer, wie die allermeisten Naturfotografen, mit Kleinbildsystemen arbeitete, konnte zwischen sehr preisgünstigen Geräten und hochpreisigen Kameras mit professionellem Anspruch wählen. Doch auf die Bildqualität hatte diese Wahl keinen Einfluss: die Fotos aus der günstigsten Kamera konnten von den Produkten der Luxusgeräte nicht unterschieden werden, wenn das gleiche Objektiv und der gleiche Film benutzt wurden. In der Praxis bedeutete dies, dass der engagierte Amateur und der Profi neben dem teuren Arbeitsgerät ein preisgünstiges Zweitgerät als Ersatz oder „Second-Unit-Kamera“ nutzen konnten, ohne Abstriche bei der Abbildungsleitung in Kauf nehmen zu müssen. Noch erfreulicher ist die Nachhaltigkeit der Produkte solcher Fotogeräte: leider ist auch der Farbfilm nicht für die Ewigkeit konstruiert, obgleich die Farbstoffe seit den frühen 1980ern deutlich länger haltbar sind als zuvor. Dunkel und trocken gelagert wird er den Fotografen dennoch um Jahrzehnte überleben. Weitaus haltbarer ist Schwarzweißfilm auf Polyester-Träger - mindestens 600 Jahre! Nichts von alledem lässt sich über die Digitalfotografie sagen: Die Kameras sind ausgesprochen kurzlebig, wenn es um den technisch aktuellen Standard geht; eine nachträgliche Anpassung, wie es bei „Film-Kameras“ durch neue Filmentwicklungen möglich war, entfällt „dank“ des fest verbauten Sensors. Dadurch können Neuerwerbungen auch nicht durch den Verkauf des Vorgängers rückfinanziert werden, weil der Wert durch einen veralteten Sensor abstürzt. Problematisch ist auch die „Haltbarkeit“ von „Bildern“, die nur in Form eines kodierten binären Zahlencodes vorliegen: Schreib-, Speicher- und Lesefehler machen das Foto unbrauchbar. Sie können zudem nur zu leicht gelöscht werden oder mit einem ebenfalls wenig langzeithaltbarem Speichermedium verloren gehen.
So spricht für mich zunächst alles für den hochauflösenden Farbdiafilm in der Highend-Mittelformatkamera mit Zeiss-Objektiv, zumal ich fast ausschließlich Makromotive fotografiere, für die der rasend schnelle Autofokus moderner Systeme nicht nur unnötig, sondern sogar hinderlich ist.
Warum ich trotz Gemecker über die Digitaltechnik 2021 dennoch zu eben dieser Art des Fotografierens wechselte?
Der erste Grund: Seit 9-11 halten die aus der Medizintechnik stammenden Computer-Tomographie-(CT)-Scanner Einzug in die Sicherheitskontrollen der Flughäfen und ersetzen die älteren Röntgen-Geräte. Während letztere weitgehend „film-safe“ sind, also Filmmaterial verschonen, überlebt kein Filmmaterial die CT-Untersuchung. Bei dieser wirkt nämlich eine deutlich höhere Strahlenbelastung auf die lichtempfindliche Filmschicht ein, da durch hunderte blitzartige Strahlenimpulse ein dreidimensionales Bild erzeugt wird. Wurden so zunächst nur die Aufgabe-Gepäckstücke durchleuchtet, so werden nach und nach auf immer mehr Flughäfen auch die Röntgen-Geräte für die Handgepäck-Kontrolle durch modernste CT-Scanner ersetzt. Kein Problem, wenn das Sicherheitspersonal die mitgebrachten Filme von Hand kontrolliert. Auf vielen Flughäfen wird das jedoch nicht garantiert. So wird eine Foto-Reise in einer vollkommenen Katastrophe enden, wenn die Durchleuchtung der Filme erzwungen wird. Reisekosten, Filmkosten, Anstrengungen, Opfer und seltene Fotogelegenheiten – alles kaputt, Totalverlust.
Der zweite Grund: Als ich neulich einige Filmrollen bestellen wollte, kippte ich fast vom Bürostuhl: Ein 5er-Pack, das sind gerade 5x12 Aufnahmen, kosten mittlerweile über 100 Euro! Vor vier Jahren war das Preisniveau mit rund 35 Euro bereits unerträglich hoch. Aber diese jüngste Preissteigerung macht der Naturfotografie auf Diafilm vollends den Garaus. Denn für eine rund 10-tägige Fotoexkursion benötigte ich rund 70 Filme, wobei ich am letzten Tag auch stets beim letzten verfügbaren Filmbild war…
Insofern ist der Wechsel der Aufnahmetechnik in meinem Falle nicht gewählt, sondern reagiert auf den Zwang der Umstände.
.
Comments